Von der Überwindung unserer
Kopflastigkeit
Für die meisten von uns stellt wohl der Verstand mit seiner Grundlage des begrifflichen, abstrakten Denkens die Krone der Menschheit dar. Es ist es höchste Zeit, sich über seine Grenzen schonungslos Klarheit zu verschaffen.
Der Verstand ist innerhalb seiner seiner Grenzen ein großartiges Werkzeug, und er bringt uns unendlich hohen Nutzen. Erheben wir ihn aber schrankenlos auf den Thron, machen wir uns abhängig, ja, zu seinem Sklaven. Wir werden von ihm in Fesseln gelegt und um unsere wahre menschliche Würde und Freiheit, um unser ,,Glück“ gebracht.
Der Mensch von heute kann kaum noch die Schönheit der Natur genießen. Er bemerkt sie oft nicht einmal. Fällt unser Auge zufällig auf einen in der Nähe vorbeifahrenden neuen Autotyp, dann sind Kopf und Herz bei der Technik. Ein Sonnenuntergang ganz in unserer Nähe wird dann nicht einmal mehr bemerkt, geschweige denn der Wechsel der Jahreszeiten. Fällt der Blick auf einen im Abendrot schillernden Wald, beginnen wir ein Selbstgespräch über die steigenden Preise von gut gewachsenem Holz. Wir machen uns höchstens Gedanken über das Waldsterben und entschuldigen unsere Gleichgültigkeit damit, dass ja früher alles ganz anders war und viel besser, und wir ja sowieso nix „dran machen“ können..
Des Menschen Kern aber sind die eigenen Antriebskräfte. Es ist niemals der Verstand. Wie schwach sind doch dessen Wirkungsmöglichkeiten, wenn sich die Gefühle mit ihren starken Triebkräften, Wünschen und Sehnsüchten rühren! Zu schwach erweist sich in dem ständigen Widerstreit von Herz und Kopf der Kopf, wenn das Herz etwas zu erreichen strebt! Der Verstand findet schnell eine Begründung, wenn das Herz sich meldet.
Schiller lässt Wallenstein das Wort sprechen: ,,Hab´ ich des Menschen Kern erst untersucht, so weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.“
So können wir den Topf am Ende des Regenbogens vielleicht doch noch finden...
Machen wir uns doch frei von der unseligen Überschätzung des Menschen als Verstandeswesen, als logisches Wesen. Er ist ein ,,psycho-logisches Wesen, ein Gefühlswesen, ein Erlebniswesen. Auf seine Gefühls- und Antriebsschichten kommt es oft mehr an, als auf den Grips. Was nützt der noch so perfekte einseitige, oft verbissene Kampf bloß um das Gehirn, um den Kopf eines anderen Menschen? Vielfach werden so nur unnötige Spannungen herausgefordert. Wer das Herz des anderen gewonnen hat, der hat ihn ganz und gar gewonnen!
Schließlich liegen auch die menschlichen Überzeugungen nicht im Intellekt, nicht im Verstand begründet, sondern in der Tiefe des Gefühls. Als bloße Überzeugung ausgegebene intellektuelle Ansichten kann man - wie der Volksmund sagt - wechseln wie ein Hemd. Die echte Überzeugung, die tiefe Wahrheit gewiss nicht.
Heute blicken wir mehr oder weniger fasziniert auf den Verstand, wird er doch systematisch geschult vom ersten bis zum letzten Tag unseres Lebens.
Dabei sind die Gefühlsunterschichten, z. B. die Lebendigkeit der Sinne, die Basis für jegliches Denken. Ganz zu schweigen davon, da� sie und in erster Linie nur sie, das ausmachen, was wir als das Wohlbefinden, als unser Glück bezeichnen.
Werden diese Gefühlsunterschichten jemals irgendwo systematisch ausgebildet? Wenn überhaupt, dann allenfalls am Rand. Weshalb sollten sie auch ausgebildet werden? Sie stehen der Leistungsfähigkeit doch immer wieder im Wege. Gefühle werden in unserer leistungsorientierten Gesellschaft als Störfaktor angesehen.
Im Grunde darf der westliche Mensch die Welt nur einseitig durch die Brille seines Verstandes sehen. Im Grunde muss er aus der Ausgewogenheit der Persönlichkeit, sozusagen aus der Mitte des Menschen herausgerissen, er muss kopflastig sein. Darf man sich dann auf der anderen Seite wundern über die steigende innere Unzufriedenheit? Uns geht es materiell so gut wie nie - und doch spüren wir dabei das steigende Gefühl des Unbehagens.
Nehmen wir es also ernst, das Unbehagen! Scheuen wir uns nicht davor, es in uns wahrzunehmen - als ein erster Begleiter zu dem Goldtopf, der am Ende des Regenbogens auf uns wartet ...